Rede des Vorsitzenden der Fraktion DIE LINKE im Stadtrat der Landeshauptstadt Hannover Michael Hans Höntsch

Liebe Genossinnen, liebe Genossen!

Zunächst einmal herzlichen Dank an den Kreisvorstand, dass ich heute zu euch sprechen darf, ich habe mich sehr über diese Einladung gefreut. Einen Ost-West Unterschied habe ich ja schon bemerkt, bei uns fangen solche Veranstaltungen samstags nicht vor 13 Uhr an, dafür wundern wir uns aber dann auch immer, dass wir um 18 Uhr nicht fertig sind und uns vertagen müssen.

Sollte ich heute irgendjemanden in meinem Beitrag auf die Füße treten, dann bitte ich vorab schon um Nachsehen, aber zu ändern ist das nicht.

So, und nun bin ich also als Niedersachse im Frühaufsteherland und ich fühle mich ganz heimisch muss ich sagen. Ich komme aus dem

dem schönsten Bundesland der Welt und zwar das mit den beiden Diethers. Für Diether Bohlens Castings war ich zu alt, also blieb ja nur die Partei von Diether Dehm, und bei allen mitunter auftretenden Differenzen, das ist auch gut so.


Und nun stehe ich hier als Wessi und will euch etwas erzählen. Ich nenne hier zu Beginn gleich drei Stichworte:

Die Kommunalpolitik

Die Programmdebatte

und den, für mich vermeintlichen Ost-West-Gegensatz in unserer Partei.


Nimmt man die so genannte Boulevard-Presse, dann sind wir im Westen, und ich spitze mal zu, die Bekloppten und Bescheuerten und ihr im Osten seid die Klugen.


Nehmen wir die so genannte bürgerliche Presse, dann seid ihr die Pragmatiker und RealpolitikerInnen und wir die Revoluzzer und die Altkommunisten. Andere mischen das ganze noch ein wenig durch und wenn ich mich dann mal richtig ärgern will, dann lese ich die "junge welt" und dann ist der Osten doof und hat nur auf den klugen Westen gewartet.


Genossinnen und Genossen, ich sehe das alles ganz anders und dazu möchte ich jetzt erst einmal nur so viel sagen, wir sollten uns viel öfter treffen. Das muss ein Geben und Nehmen werden. Ein voneinander Lernen ist lebenswichtig und erlaubt mir die Bemerkung, es kann in der Perspektive ja auch nicht immer so sein, wir geben euch unseren Jan Korte und dafür bekommen wir eure Sarah Wagenknecht.


Genossinnen und Genossen!

Es ist nunmehr 38 Jahre her, da saß ich in Zerbst auf dem Bahnhof und wartete auf den Zug nach Magdeburg mit Anschluss an den Interzonenzug nach Hannover. Ja, so nannte man das damals. Ich war zu Besuch bei Tante und Cousine, eine Woche DDR pur und ich wollte eigentlich nicht mehr nach Hause. In den Händen hielt ich ein ND und musste zu meiner Überraschung feststellen, dass mich ein Jugendlicher hämisch ansah.


Wenige Jahre später, inzwischen schon länger Mitglied der Kommunistischen Partei, war ich auf Delegation im schönen Magdeburg. Wie immer waren wir Gast der Bezirksleitung der SED. Ein Vormittag, den ich nie vergessen werde. Zuerst Besuch im Dimitroff Kombinat, dann ein Gespräch mit der Direktorin der Pädagogischen Hochschule. Ich diskutierte eifrig mit, zitierte Reinhold Andert und machte mich lustig darüber, dass in dem FDJ-Heim für Studentinnen, in dem wir untergebracht waren, eine Frau in einer Pförtnerloge jeden Besuch aufschrieb und Herrenbesuch nach 22 Uhr grundsätzlich verboten war. Ich meinte, zumindest da seien wir im Westen weiter. Es folgte eisiges Schweigen und die Genossin Direktorin stellte dann klar, dass man mit westlicher Dekadenz nichts im Sinne hätte, diese Auswüchse des Imperialismus, Gruppensex und so etwas hätten niemals Platz in der DDR.


Die meisten in meiner Delegation waren erschüttert ob meiner Ketzerei, einige wenige konnten sich das Lachen kaum verkneifen.

Zuhause angekommen hatte ich sehr zügig einen Termin bei der Schiedskommission, danach ein Kadergespräch, in dem ich mich

zur führenden Rolle der KPdSU bekannte, aber damit war es noch nicht ausgestanden. Ich schrieb gerade meine 1. Staatsexamensarbeit mit dem Arbeitstitel “Wirtschafts- und sozialpolitische Aspekte der regionalen Planung am Beispiel der territorialen Rationalisierung in der DDR", war dringend angewiesen auf das Quellenstudium vor Ort musste nun aber zur Kenntnis nehmen, dass meine Einreise künftig auf unabsehbare Zeit nicht mehr erwünscht war.


12 Jahre war ich Kommunist und löste mich 1983 unter großen Schmerzen und unter Verlust vieler guter Freunde. 2 Jahre lang powerte ich meine ganze Kraft in den Aufbau einer linkssozialistischen Partei, den Demokratischen Sozialisten, genannt DS, deren Bundessprecher ich zuletzt 1985 war.


Wir schafften es damals nicht, es gab vielerlei Ursachen, ich machte Erfahrungen aus denen ich heute nach abgeschlossenem Parteibildungsprozess noch lerne bzw. Lernen kann. In jedem Fall lernte ich damals jede Menge Trotzkisten kennen. Nun, auch das ist eine Erfahrung, die ich nur ungern zweimal gemacht habe. Vieles wiederholt sich also doch!


Von 85 bis 2004 war ich dann engagierter Sozialdemokrat, mit kommunalpolitischem Mandat in Hannover. 1989 faszinierte mich die Rede vom unvergessenen Michael Schuhmann auf dem Parteitag der SED/PDS.


Das war es, so dachte ich. Sollte es mir tatsächlich gelingen, als Demokratischer Sozialist endlich eine politische Heimat zu finden?


Vorsichtig streckte ich in Hannover meine Fühler nach der PDS aus. Allerdings zu einem Zeitpunkt, als von einem lieben Genossen Jan Korte noch nicht die Rede war. Ich schrieb also, damals stellvertretender Ortsvereinsvorsitzender und Bezirksratsabgeordneter einen Brief an die PDS in Hannover und bat um Info-Material, insgeheim auch erwartend, es würde zu einem Gesprächstermin kommen.


Ich wartete drei lange Monate, dann kam ein Dina4 Briefumschlag. Genossinnen und Genossen, ich war aufgeregt und freudig erregt. Doch sehr schnell erfolgte die Ernüchterung. Kurzes Anschreiben plus Material. Das Material bestand aus einer Hochglanzbroschüre aus dem KL-Haus, die mir gut gefiel und aus einem Packen Erklärungen der nieders. PDS und der KPF, die alle abwichen von dem, was ich mir gedacht hatte. Ich musste ernüchtert feststellen, Schuhmachers Rede war nicht bis Hannover durchgedrungen und die meisten Genossen, die unter den beigefügten Materialien mit Namen standen, kannte ich aus früheren politischen Zusammenhängen. Schade eigentlich dachte ich und blieb bei meinem Ortsverein, in dem ich mich ja prinzipiell auch menschlich sehr wohl fühlte.


Die Jahre vergingen und die Agenda 2010 wurde beschlossen. Es bedurfte erst der Gründung der WASG und so wagte ich es, nach 19 Jahren meine Partei zu verlassen. In meinem Stadtteil, in dem ich ja bereits Abgeordneter war, war die politische Lage gut. Von Anfang an, packten wir die Stadtteilgruppen der WASG und der PDS zusammen und hatten keine Probleme miteinander. Ich wurde schnell Doppelmitglied, keine Ahnung habend, wie viel Schwierigkeiten mir dieser Schritt bereiten sollte.


Und heute, bin ich Mitglied der Linken, Fraktionsvorsitzender einer kleinen Stadtratsfraktion, und habe einen für mich sehr erfolgreichen Bundestagswahlkampf hinter mir, der mich zwar nicht in den Bundestag führte, aber mit mehr als 10.000 Erststimmen hatte ich immerhin die FDP in meinem Wahlkreis überholt. Die konservative Hannoversche Allgemeine spöttelte damals: Und so ist die niedersächsische Landesliste alles andere als eine Einladung an die SPD.


Auf Platz eins der kämpferische Diether Dehm mit Dreitagebart, auf Platz dreißig der bekannte Kommunalpolitiker Michael Höntsch, mit Anzug und Krawatte und den eher leisen Tönen.

Ich habe dennoch meine Plakate in Hannover nicht mit den Störern Bild und Spiegel quälen verschönert. Illusionen über die Presse habech mir nie gemacht, auf kommunaler Ebene behandelt sie mich leidlich fair und Presseschelte ist eh ein so genanntes no go.


Was solls, die Linke hatte in Niedersachsen erneut einen großen Erfolg und ich habe etwas dazu beigetragen. Und liebe Genossinnen und Genossen, ihr könnt euch einer Tatsache ganz sicher sein, wäre die niedersächsische LINKE in die Lage gekommen, einen Regierungswechsel herbeizuführen, auch mein Landesvorsitzender hätte dies fraglos, wie auch die Genossinnen und Genossen in Hessen unterstützt.


Und was tat ich, nach meiner Wahl in den Rat von Hannover, ich brauchte gutes Personal, stand stark unter Druck, Genossen einzustellen, manch einer machte sich Hoffnungen, aber die stelle der Geschäftsführung schrieb ich öffentlich aus. Nach Sichtung der Bewerbungen entschied ich mich für eine Genossin, die sehr schnell die Seele meiner Fraktion wurde. Nach Hannover holte ich die ehemalige Ratsfrau aus Halle, Heidrun Tannenberg. Ich habe es nie bereut, aber es gab heftige Angriffe in der Presse und erst kürzlich meinte ein linker Genosse gegenüber der Neuen Presse, auf die ehemalige PDS-Frau aus dem Osten hinweisen zu müssen um damit die Arbeit meiner Fraktion in Misskredit zu bringen. Hier wurde urplötzlich einmal mal wieder der Bevölkerung tiefsitzende Antikommunismus bedient. Nebenbei gemerkt ist dieser Genosse, der mir immer SPD-Nähe vorgeworfen hat vor 14 Tagen zu ihr gewechselt.


Warum erzähle ich euch das alles? Ich wehre mich ganz entschieden gegen den in der Presse immer wieder aufgestellten Gegensatz zwischen West- und Ostlinke. Von heutiger Sichtweise aus, ist mir persönlich die PDS näher, als DIE LINKE und ich will euch auch sagen warum. Es ist unbestritten, dass in unserer Partei unterschiedliche Kulturen zusammengeführt werden. Das ist nicht immer einfach, aber, so meine ich, doch möglich. Ich habe als Wessi die Erfahrungen gemacht, das Herzstück linker Politik ist die Kommunalpolitik. Nirgendwo anders werden die Bürgerinnen so direkt mit den Auswirkungen der gegenwärtigen Krise konfrontiert.


Ich würde es nicht ein Gegensatz nennen, wenn ich an dieser Stelle auf die Selbstverständlichkeit hinweise, dass ihr im Posten eine gehörige Portion mehr Erfahrung habt. Erfahrung darin, wie man einen Staat vergeigt, aber eben auch wie man Lehren aus der Geschichte zieht, und dann eben bereit ist auf kommunaler- und Landesebene Verantwortung zu übernehmen. Davon könne wir im Westen eine Menge lernen, wir bitten euch aber auch um Verständnis, dass viele unserer Mitstreiterinnen jahrelang die Kohlregierung und dann rot-grün ertragen haben und auch deshalb dementsprechend radikalisiert sind.


Genossinnen und Genossen

Kommunalpolitik verkommt mehr und mehr zu einem Verwalten von Schulden, freiwillige Leistungen werden abgebaut bzw. Können nicht mehr finanziert werden und davor können auch linke Abgeordnete die Augen nicht verschließen. Mir ist in den letzten Jahren auch deutlich geworden, wie aktive Kommunalpolitik Parteimitglieder auch verändern kann und das meine ich im positiven Sinne.


Wer in einer Kommune zur Wahl antritt und Erfolg hat, der hat nicht nur die Beschlüsse der Partei umzusetzen, nein, der hat auch einen Wählerauftrag. Die Menschen wollen positive Veränderungen ihrer Lebenssituation in einem überschaubaren Zeitraum und nicht Politik, die sich unter Umständen einmal für die Urenkel auszahlt. Darum ist es auch so wichtig, dass linke Politik fähig ist zum Kompromiss. Das hat nichts mit Zurückweichen vorm Gegner zu tun, sondern bedeutet verantwortungsvolles Handeln für die Bürgerinnen. Viele Linke, die ich kenne, haben nach der Übernahme eines Mandates einen Wandlungsprozess vollzogen. Wenn man tatsächlich verantwortlich Politik betreiben will, gerade auch als Opposition, dann besteht verdammt nochmal die Verpflichtung, sich auch Gedanken um die Finanzierung der eigenen Projekte zu machen, ansonsten wird man unglaubwürdig. Ein Bürgermeister, der nicht mehr über die Mittel verfügt, eine Schwimmhalle für die Bürger zu finanzieren, ist in einer schwierigen Situation. Schließt er die Schwimmhalle, wird er schnell ein Neoliberaler genannt. Will er die notwendigen Mittel bereithalten, dann

bekommt er es mit der Kommunalaufsicht zu tun. Wie aus diesem Dilemma herauskommen?


Kann die Programmdebatte dafür Hilfestellung geben? Ich meine ja.


Im vergangenen Jahr habe ich mit meiner Fraktion etliche Veranstaltungen durchgeführt, die man auch Ost trifft West hätte nennen können. Zu Beginn der Legislaturperiode hatten wir die Forderung nach einem Bürgerhaushalt aufgestellt und luden zu einer Anhörung im Rathaus ein, auf der die Berliner Bezirksbürgermeisterin, unsere Genossin Christina Emmerich eindrucksvoll über eben dieses Thema berichtete. Im Rat selber, meinte dann die rot-grüne Mehrheit, das Thema sei richtig, aber zur Unzeit gestellt. Das käme später auf die Tagesordnung. Nun darauf warten wir immer noch, also werden wir es wieder auf die Tagesordnung setzen.


Zur Schulpolitik in Hannover hatten wir die Genossin Rosi Hein auf einer gut besuchten Veranstaltung im Rathaus von Hannover.


Kurze Zeit später griff meine Fraktion das Thema Städtepartnerschaft auf. Wir luden eine Delegation der Ratsfraktion aus Leipzig ein und erhielten viel Lob von unserem Oberbürgermeister. Er nahm sich ungewöhnlich viel Zeit, die Leipziger GenossInnen zu begrüßen und meinte dann im Gespräch zu mir, das seien ja sehr vernünftige Menschen, berechenbar und nicht so wie die Linke im Westen. Hört ihr, da haben wir ihn wieder, diesen konstruierten Gegensatz!


Nun, kurze Zeit später nahm ich ihn und die SPD beim Wort. In verschiedenen Ratsanträgen machte ich mich des Plagiats schuldig. Wortwörtlich brachte ich Anträge der SPD-Fraktionen aus Halle und Leipzig im hannoverschen Stadtparlament ein. Das Ergebnis könnt ihr euch sicherlich denken, die Anträge wurden samt und sonders als populistisch und nicht finanzierbar abgelehnt.


Ich denke mal unser Verhältnis zwischen Ost und West entwickelt sich und meine Fraktion wird auch künftig ihren Beitrag dazu leisten.


Dennoch waren unsere Initiativen richtig und wichtig.

Ich erwarte vom neuen Parteiprogramm einen starken Fokus auf die kommunale Arbeit. In einer Zeit, in der die Kommunen nur noch Schulden auftürmen und verwalten, in einer Zeit in der alle Gestaltungsspielräume verloren gehen, brauchen wir dringend und zuvorderst eine Neuverteilung des Steueraufkommens zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Die Kommunen brauchen eine stabile und konjunkturunabhängige Steuereinnahme. Anders wird es nicht gehen. Wir konstatieren in diesem Zusammenhang einen schleichenden Prozess der Entdemokratisierung der Kommunalpolitik. Überall wird das so genannte Tafelsilber verscherbelt, kommt es zur Gründung von städtischen Eigenbetrieben bzw. GmbHs mit Aufsichtsräten und die Einflussnahme der Stadt- bzw. Gemeinderäte wird Zug um Zug zurückgefahren, ganz zu schweigen von der Mitbestimmung. Wir brauchen, und auch das gehört in die Programmdebatte, einen klaren Kurs, der da Rekommunalisierung heißt.


Ein paar Worte zu der Thematik Regierungsbeteiligungen und bei diesem Thema blieb es den ursprünglich westdeutschen Blättern für deutsche und internationale Politik vorbehalten, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Da werden flugs rote Haltelinien in den Raum gestellt, die die Linke nicht zu überschreiten hätte. Und hier beginnt das Problem, wie jüngst das Brandenburger Exempel demonstrierte. Denn der Koalitionsvertrag, auf den sich SPD und Linkspartei im Oktober 2009 verständigten, beinhaltet aus Sicht der Linkspartei Positives wie Negatives: Dem Weiterbetrieb des Braunkohletagebaus und einem Stellenabbau im öffentlichen Dienst stehen Änderungen in der Innenpolitik, mehr Lehrerstellen und der Einstieg in einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor gegenüber.

Statt sich nüchtern auf eine Abwägung des Gesamtpakets einzulassen, erklärten die Koalitionsgegner den Stellenabbau im öffentlichen Dienst flugs zu einer „roten Linie“, die die Linkspartei keinesfalls überschreiten dürfe. Das aber ist keine politische, sondern eine dogmatische Haltung: Man muss schon begründen, wieso eine „Kröte“ zwingend die Ablehnung des Gesamtpakets zur Folge haben soll. Warum man aber in einem schrumpfenden Bundesland prinzipiell keinen Stellenabbau im öffentlichen Dienst mittragen darf, selbst wenn zugleich die Einstellung neuer Lehrer und ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor vereinbart werden, der für tausende Langzeitarbeitslose eine reale Chance bedeutet, ist insbesondere begründungsbedürftig für eine „Linke“, die bei der Bundestagswahl unter Arbeitslosen zur stärksten Partei wurde.


Liebe GenossInnen, ich weiß es nicht, wie es bei euch auf kommunaler Ebene gerade aussieht, bei uns bereiten wir uns so ganz allmählich auf die Kommunalwahl 2011 vor. Es gibt bereits hier und da heftige Debatten und auch Anträge, der Kreisverband möge beschließen, dass es derzeit keine Zusammenarbeit mit rot-grün geben kann. Das ist sicherlich auch anderen Ortes so, ich sehe das allerdings völlig unaufgeregt und halte derartige Beschlüsse auch für absolut überflüssig. Ob Zusammenarbeit ja oder nein, ist nicht eine Frage von Beschlüssen und Deklarationen, es ist eine Frage der Machbarkeit und der politischen Glaubwürdigkeit. Bei den gegenwärtigen Tarifverhandlungen mit verdi hat unsere Verwaltungsspitze einen Zusammenhang hergestellt zwischen dem eventuellen Scheitern der Verhandlungen und einem dann zu erfolgenden Stellenabbau von 300 Arbeitsplätzen in der Verwaltung. Unsere Antwort war klar, wir haben uns mit verdi und dem Gesamtpersonalrat solidarisch erklärt und diese Einmischung in die Tarifautonomie entschieden zurückgewiesen. Dafür war kein extra Parteibeschluss notwendig.


Als Abgeordneter habe ich immer wieder in der Partei das Statement gehört, “Die Partei führt die Fraktion”. Schön wäre es ja, liebe Genossinnen und Genossen. Dann wäre manches leichter und man hätte nicht soviel Arbeit in den Ausschüssen und Gremien. Ich denke mal, dieser hohe Anspruch muss eben auch weg von der plakativen Ebene, die Kommunalpolitik vor Ort ist noch viel zu häufig die Sache von EinzelkämpferInnen, nur zu oft kümmern sich Kreisvorstände um das große Ganze und scheuen die Niederungen des Alltages. Ihr seht also, Kommunalpolitik ist einerseits das Kernstück unserer Politik aber eben auch vielerorts das Stiefkind der Partei.


Ich bin zuallererst Mitglied der Linken, habe aber die Tradition der PDS schätzen gelernt, dass es Strömungen gibt. Ich bin deshalb auch eindeutig positioniert und gehöre dem Bundesvorstand des fds an. Dennoch möchte ich hier gerne einen Genossen zitieren, der da sagte, “Ohne Kommunistische Plattform ist die Emanzipatorische Linke langweilig, ohne Forum demokratischer Sozialismus bleibt die Sozialistische LINKE eine Sekte, ohne Osten kein Westen, ohne Frauen keine Männer, ohne Alte keine Jungen, ohne die Schwulen keine Heteros usw.usf.. Ilja Seifert hat auf dem Gründungsparteitag gesagt: Wir müssen uns mögen. Nicht nur mich und meine engsten Gesinnungsgenossen, sondern auch „die anderen“, von der anderen Landes-/Geschlechter/-Strömungsseite - und nun höre ich auch schon das Gegenargument, wir müssen uns nicht alle mögen. Das ist einerseits richtig, aber wenn unsere Partei wirklich erfolgreich sein will, dann muss unsere Debattenkultur von mehr als nur Toleranz und Respekt gekennzeichnet sein. Das ist eine schwierige Aufgabe, aber sie ist nahezu alternativlos.


Mir geht es manchmal so, dass ich als Parteirechter bezeichnet werde, oder aber auch als bürgerlicher Linker. Nun, damit kann ich leben, was sollte ich als Gymnasiallehrer auch anderes sein, als ein bürgerlicher Linker.

Ein Trost dabei, den Verfassungsschutz kümmert das nicht, die niedersächsischen kommunalen Abgeordneten werden überwacht, das ist ein Skandal und wenn das so weiter geht, dann tue ich doch noch das, was man mir vor Jahrzehnten am Infotisch entgegengeschleudert hat, ich mach nach drüben.


Was ist eigentlich links, liebe Genossinnen und Genossen? Ich meine links ist weniger das radikale Auftreten, es ist die radikale Tat.


Lasst mich an dieser Stelle den von mir hochgeschätzten Genossen Lothar Bisky zitieren, er sagte neulich etwas, das meiner Ansicht nach die Dinge, was die Perspektiven zur Veränderung in unserem Land angeht, auf den Punkt bringt:

"Natürlich sollte sie - und gemeint ist die Partei - keine Grundsätze über Bord werfen. Aber ich empfehle schon eine stärkere Öffnung der Partei. Manche denken, dass wir mit 11,9 Prozent im Bundestag die Richtung der deutschen Politik bestimmen können. Das ist nicht der Fall. Die Linke muss darüber nachdenken, mit wem sie ihre Vorschläge umsetzen will. Wir dürfen nicht warten, ob die SPD irgendwann auf uns zukommt. Wir müssen auch selbst gucken, wo Gemeinsamkeiten sind"


und ich füge hinzu:

Genossinnen und Genossen, sorgen wir gemeinsam dafür, dass die Programmdebatte ein

Ort sachlicher Auseinandersetzung und fruchtbarer Debatten wird und kein Glaubenskrieg! Dann haben wir alle gewonnen!


Ich wünsche eurem Stadtparteitag einen guten Verlauf.


Ich danke für eure Aufmerksamkeit.