Solidarisch durch die Krise - Grundrechte für alle sichern

Stephan Krull

Wir sind gefragt worden, inwieweit und welche Grundrechte wir derzeit bedroht sehen und welche Forderungen wir daraus ableiten. Darauf möchte ich antworten:

Die Regierung soll regieren – aber es gibt in unserem Land richtigerweise und aus leidvoller Erfahrung eine Gewaltenteilung (Grundgesetz) zwischen Regierung, Parlament und Gerichtsbarkeit. Die Pandemie wird jedoch von der Regierung bzw. von den Regierungen einschließlich der Landesregierungen genutzt bzw. missbraucht, um weitgehend ohne parlamentarische Kontrolle zu regieren. Auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes wird seit Monaten durch „Verordnungen" regiert bzw. das Leben in unserem Land bestimmt. Die unterschiedlichen Verordnungen im Zeitverlauf und in den einzelnen Ländern sind oft widersprüchlich und in sich nicht schlüssig. Dabei handelt es sich um schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte: Das Recht auf Freizügigkeit (Ausgangssperren und Kontaktverbote), das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, das Recht auf Versammlungsfreiheit unter freiem Himmel wie in geschlossenen Räumen (Demonstrationsverbote bzw. unsinnige oder widersprüchliche Auflagen), die Berufs- und Gewerbefreiheit, die Glaubensfreiheit, Einsatz der Bundeswehr im Innern und vieles mehr.

Manche Verordnung bzw. daraus abgeleitete polizeiliche Auflagen und Beschränkungen wurden gerichtlich überprüft und zurückgewiesen oder mussten durch Widersprüche außer Kraft gesetzt werden. Insbesondere dieses macht deutlich, dass die Regierungen und die Vollzugsorgane oft viel zu weit gegangen sind in den Einschränkungen. Das ist Ausdruck ein höchst eingeschränkten Demokratie. Wenn dann noch Allmachtsphantasien von Ministern auf strikte Impfgegner treffen, entsteht ein sehr brisantes gesellschaftliches Klima.

Ein zweiter Aspekt sind die sozialen Rechte von vielen Menschen, die in Frage gestellt oder missachtet werden – auch dabei handelt es sich um Grund- und Menschenrechte. Die Regierung schüttet Milliarden Euro aus, um die große Wirtschaft am laufen zu halten (Bazooka). Für HartzIV-Empfänger*innen, für Kinder, für Erwerbslose und Kurzarbeitende, für Soloselbständige und Kulturschaffende aber ist kaum bis gar kein Geld vorhanden. Mehr noch nutzen viele Unternehmen die Pandemie, um schamlos Entlassungen und Betriebsverlagerungen durchzuziehen. Es werden Lohnkürzungen vorgenommen (zum Beispiel in Behindertenwerkstätten) und verlängerte Arbeitszeiten angeordnet, gar das Arbeitszeitgesetz zeitweise außer Kraft gesetzt und das Sonntagsarbeitsverbot umgangen. Viele Unternehmen leiden nicht unter der Krise, sondern verdienen sich eine goldene Nase. Während die Reichen reicher werden, werden die Armen schnell mehr und ärmer.

So sind die Lasten der Krise sehr ungleich verteilt. Das naheliegende tut die Regierung in dieser Situation nicht – nämlich einen Lastenausgleich schaffen. Es gibt keine Vermögensabgabe, um die Kosten der Krise zu schultern, keine Gewinnabschöpfung, keine Vermögenssteuer und keine Erbschaftssteuer. Wenn so etwas nicht durchgesetzt wird, ist ganz klar, wer für die riesigen Kosten der Krise (ca. 300 Milliarden Euro) aufkommen soll. Das läuft auf eine Verlängerung und Verstetigung der Missachtung von Grundrechten hinaus.

In diesem Zusammenhang ist die veröffentlichte Meinung (Pressefreiheit) ein weiteres Problem. Einerseits alarmierende Berichte über die Pandemie-Entwicklung ohne auf die wirklichen Ursachen einzugehen – andererseits eine Berichterstattung, als ob wir so weitermachen könnten wie bisher, bestenfalls „zurück in die alte Normalität". Die „alte Normalität" beruht aber auf globaler Ausbeutung von Mensch und Natur und ist deshalb mit ursächlich für die Pandemie. Das, was sich wirklich in diesem Land abspielt (z.B. vielfältige Aktionen gegen Lohnraub, Entlassungen, Betriebsverlagerungen, Tarifflucht und Gewerkschaftsbashing, Aktionen für Klimagerechtigkeit und Menschlichkeit gegenüber Hilfsbedürftigen) kommt in Presse, Funk und Fernsehen oft gar nicht oder erst spät nachts vor. Diese Asymmetrie, dieses Missverhältnis zwischen Regierungsverlautbarungen und Lebenswirklichkeit, zwischen „denen da oben" und „uns hier unten" wird von den Menschen zurecht als verlogen, als Bevormundung und Meinungsmache empfunden.

Insoweit wollen wir unseren Beitrag leisten, solidarisch durch die Krise zu kommen und die Grundrechte für alle verteidigen.