Gesellschaftliche Konflikte in Zeiten von Corona.

Stephan Krull

Viele sagen jetzt: „Es geht darum, dass Eltern einsehen, dass sie sich nicht in größeren Gruppen für eine gewisse Zeit versammeln, dass ältere Menschen und jüngere Menschen eine Solidarität üben, dass Vertrauen in die Menschen, in die Nachbarschaft kommt, die einander wieder mehr helfen.
All dem ist zuzustimmen – nur hat das nichts mit einer Ausgangssperre oder markigen Worten starker Männer zu tun!
Die Regierenden tun so, als sei Corona völlig überraschend und unabwendbar über uns gekommen und nun müssten „wir alle“ fest zusammenhalten, um das Übel zu besiegen. Natürlich müssen jetzt praktische Maßnahmen getroffen werden, um die Pandemie zu überstehen.Tatsächlich werden aber in Deutschland, in der EU und zwischen weiteren Staaten völlig unkoordinierte, teils sich widersprechende Maßnahmen getroffen. Die rassistische, autoritäre und sozialdarwinistische Herangehensweise von Leuten wie Trump, Johnson und Orban sind dabei nur die Spitze des Eisberges. Selbstverständlich versuchen die Herrschenden, ihre Schuld am Ausbruch der Pandemie und deren sozialen und ökonomischen Folgen mit autoritären Maßnahmen und Appellen an die nationale Solidarität zu kaschieren: „Wir“ müssen jetzt ganz fest zusammenhalten, dann wird alles gut. Aber in der Krise werden gesellschaftliche Widersprüche nicht aufgelöst, sondern sie treten schärfer hervor; sichtbar an folgendem Unterschied: Eine alleinerziehende Mutter lebt mit ihren zwei Kindern in einer 70qm Drei-Raum-Wohnung von Grundsicherung. Die Kinder können weder zur Schule noch zum Kindergarten, das Geld reicht normal schon kaum aus, um über den Monat zu kommen. Sie ist doch völlig anders von einer Ausgangssperre betroffen als zum Beispiel ein Geschäftsführer oder Abteilungsleiter oder Eigentümer eines größeren Betriebes der, sagen wir mal bescheiden, 200.000 Euro im Jahr bekommt, in einer Eigentumswohnung oder Villa mit 150 qm und 7 Zimmern mit Gattin und zwei jugendlichen Kindern lebt. Der lässt sich seine Lebensmittel vom Gourmet-Shop nach Hause bringen.
Ich könnte weitere Beispiele anführen: Die Krankenpflegerin, die für 35.000 Euro brutto im Jahr arbeitet; die Kassiererin, die für 25.000 Euro brutto im Jahr im Supermarkt an der Kasse sitzt; oder - wirklich extrem, - der Obdachlose, der jetzt irgendwo eingesperrt wird; noch extremer, der Geflüchtete, der kein Asyl bekommt und hier ohne Aufenthaltsstatus lebt und demnächst weggefangen wird.
Wir ziehen nicht alle als neue Volksgemeinschaft an einem Strick in die gleiche Richtung – das deutlich zu machen, scheint mir wichtig zu sein.
Zur Vorhersehbarkeit der Krise: Spätestens seit SARS und Ebola ist klar, dass mit unserem System etwas nicht stimmt. Alle konnten es wissen, alle haben es gewusst. Die extreme Globalisierung, immer dort zu produzieren, wo es am billigsten ist, zulasten von Mensch und Umwelt mit extrem langen Lieferwegen und JetSet der Manager dieser Globalisierung ist ein Teil des Problems: längst erkannt, aber nicht reduziert, sondern weiter expandiert. Die Massentierhaltung und das billige und schlechte und ungesunde Fleisch, die damit verbundene Abholzung des Regenwaldes zwecks Anbau von Soja – wahrscheinlich der Punkt des Übersprungs des Virus, auf jeden Fall das Problem bei der Entwicklung multiresistenter und neuer Keime. Massentierhaltung und Fleischverarbeitung zum Schaden von Mensch und Tier: längst erkannt, aber nicht reduziert, sondern weiter expandiert.
Ein letztes Beispiel: Deregulierung und Privatisierung vor allem im Gesundheitswesen – jede Abteilung ein Profitcenter. Geburtsabteilungen als erstes geschlossen, weil nicht profitabel, Personal ausgedünnt und immer schlechter bezahlt zwecks Profitmaximierung: längst erkannt, aber nicht reduziert sondern weiter expandiert.Das alles ist die Schuld derjenigen, die jetzt an unsere Solidarität appellieren und die Ausgangssperren herbeireden – an den tatsächlichen Ursachen aber auch gar nichts verändern wollen.

 

Über die Zeit nach Corona wird jetzt entschieden. Und da ist es eben nicht egal, wie wir uns positionieren. Die Bundesregierung hat gerade ein 750-Milliarden-Euro-Programm aufgelegt, die EZB stellt unbegrenzte Geldmengen zur Verfügung. Wer wird das denn zu bezahlen haben? Scholz und Altmeier haben bereits angekündigt, dass „wir“ „nach Corona“ wieder sparen müssen. Werden die Reichen dabei auch nur ein einziges mal zur Kasse gebeten? In Deutschland allein gibt es ein privates Geldvermögen von 6.000 Milliarden Euro: 6 Billionen Euro; Geldvermögen – nicht Fabriken oder Grundstücke oder sonstige Immobilien. Wäre nur die Hälfte davon per Vermögenssteuer abgeschöpft worden, hätten wir keine Staatsverschuldung von 2.000 Milliarden Euro (Bund. Länder und Kommunen), hätten wir keine verkommene Infrastruktur, keine geschlossenen Krankenhäuser, keine maroden Schulen – und die Reichen wäre immer noch stinkereich.
Ganz zum Schluss: Das Szenarium, in dem wir uns heute bewegen, hat die Bundesregierung bereits vor sieben Jahren durchgespielt – ab Seite 55: dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/120/1712051.pdf
Es ist einfach nur gruselig!